Impfen in der Apotheke – ein Hebel für Vorsorge
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Impfen in der Apotheke – das Naheliegende nutzen
Für viele Menschen ist der Weg zur nächsten Apotheke nicht weit. Sie kennen die Personen, die dort arbeiten, vertrauen ihrer Kompetenz und erhalten auch in den Abendstunden Rat. Blutzucker und Cholesterinwerte messen die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten bereits – wieso sollten sie also nicht auch impfen?
Ein solches Angebot wäre nicht nur ein substanzieller Beitrag zur Pandemiebewältigung. Es würde auch ganz grundsätzlich den Schutz vor Infektionskrankheiten auf ein höheres Level bringen. Doch Impfungen in Apotheken sind in der Regelversorgung hierzulande noch nicht erlaubt. Gleichwohl gibt es Modellprojekte mit Grippeschutzimpfungen– und die liefern ermutigende Daten.
Grippeschutz weit hinter WHO-Empfehlung
In vier Bundesländern hatten im Oktober 2020 ausgewählte Apotheken im Rahmen eines Modellprojekts mit der Grippeschutzimpfung begonnen, inzwischen sind es acht1. AOK-Versicherte konnten sich von eigens geschulten Apothekerinnen und Apothekern impfen lassen. Rechtlich möglich wurde das durch das Masernschutzgesetz 2020.
Hinter dem Modellversuch steckt der Gedanke, dass solch eine niedrigschwellige Möglichkeit die Impfraten erhöhen könnte. Denn von der 75 %-Impfquote, die die WHO und EU älteren und gefährdeten Menschen empfehlen, ist Deutschland weit entfernt2: Mit 38,8 Prozent in der Saison 2019/2020 landet es im internationalen Vergleich auf den hinteren Rängen3.
Ein dichtes Apothekennetz ermöglicht den leichten Zugang
Auch bei den Schutzimpfungen gegen FSME oder Pneumokokken ist die Impflücke groß. Der bestechende Gedanke an Impf-Apotheken: Mit knapp 19 000 Offizinen ist das Versorgungsnetz in Deutschland besonders dicht4. Apotheker:innen genießen Vertrauen und bieten Service ohne Termin. Sie ziehen womöglich auch jene an, die sich nicht eigens an ihren Arzt oder ihre Ärztin wenden, um geimpft zu werden.
Erste Zwischenergebnisse des Modellprojekts geben dieser Vermutung recht: Jeder dritte Geimpfte in Nordrhein-Westfalen war ein so genannter „Erstimpfling“ – hat also bislang nie eine Arztpraxis aufgesucht, um sich gegen Grippe impfen zu lassen5. 94 Prozent der Teilnehmenden sagen, sie würden sich wieder in der Apotheke gegen Influenza impfen lassen5. 78 Prozent auch gegen andere Infektionskrankheiten5. Ähnlich hoch sind die Werte einer ersten Auswertung aus dem Saarland6. Medizinische Notfälle im Zusammenhang mit der Impfung wurden nicht berichtet.
Steigendes Bewusstsein für Vorsorge
Und noch ein interessanter Effekt stellt sich ein, wenn Apotheken impfen: Die Aufmerksamkeit für das Thema steigt. Denn die Mehrheit der Menschen, die sich nicht impfen lassen, sind keine sogenannten „Impfgegner“ es fehlt schlicht die Gelegenheit oder der Kalendereintrag. Apothekenimpfungen geben damit Impulse zu Neu- und Folgeimpfungen, was auch die Erfahrungen aus anderen Ländern bestätigen: In der kanadischen Provinz Ontario ließen sich Menschen nach einer Apothekenimpfung im Folgejahr doppelt so oft impfen7. In Irland stiegen mit Einführung der Influenza-Schutzimpfung in Apotheken auch die Impfraten bei Allgemeinmediziner:innen an8.
Und so sehen sich Apotheker:innen auch nicht als Konkurrenz zu Ärzten und Ärztinnen, sondern sie streben ein Miteinander an, wie Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA) auf dem Deutschen Apothekertag 2021 betonte9. Mahnende Stimmen aus der Ärzteschaft hatten gewarnt, dass das Impfen mehr sei als ein Piks, es gehe auch um Aufklärung, Gegenanzeigen, womöglich Nachbetreuung. Gleichzeitig befürwortet allerdings gut die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte das Miteinander von Pharmazeut:innen und Mediziner:innen, wie eine Umfrage des Deutschen Ärzteblatts zeigte9.
Bedeutender volkswirtschaftlicher Wert von erreichten Impfquoten
Die Bereitschaft von Apotheken und auch der Bevölkerung für diesen neuen Weg ist jedenfalls hoch. Durch die Wucht der Pandemie gewinnt die Diskussion an Fahrt. Wären Impfungen bundeweit in Apotheken möglich, könnten 7,55 Millionen Menschen zusätzlich gegen Grippeviren, Pneumokokken und FSME-Erreger geimpft werden, zeigt eine Modellierung5. Das würde sich auch in der volkswirtschaftlichen Bilanz niederschlagen: Kämen die EU-Staaten auf die empfohlene Grippeschutzquote von 75 Prozent, blieben ihnen jährlich über eine Million verlorene Arbeitstage erspart, 1,7 Millionen grippebezogene Krankheitsfälle und 31.400 Krankenhausaufenthalte10.
Jeden Tag suchen 46 Millionen Menschen in Europa eine Apotheke auf11. Der Zusammenschluss der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU) sieht darin eine Ressource, die in Zukunft sicher stärker genutzt werden wird. Mit Blick auf die alternde Bevölkerung, eine steigende Krankheitslast durch chronische Erkrankungen sowie auch Kosten für neuen Therapien steigt der Druck auf die Gesundheitssysteme. Um weiterhin nachhaltig agieren zu können, müssen Aufgaben wie Gesundheitsförderung, Prävention und Erkrankungsmanagement auf mehrere Schultern verteilt werden. Eine wichtige Säule dieser Resilienz: Apotheken!
Über den Autor
Ramin Heydarpour ist Apotheker und hat sich nach seinem Pharmaziestudium in Marburg zum Apothekenbetriebswirt weitergebildet. Als Apothekenleiter in einem Apothekenverbund konnte sich Herr Heydarpour ein breites Fachwissen, u.a. auch im Bereich Impfstoffe, aneignen.
Aktuell ist er tätig als Manger „Marktzugang und Erstattung“ bei dem Unternehmen Pfizer Pharma GmbH. Seit 2017 ist Ramin Heydarpour ehrenamtlicher Pharmazierat in Berlin und seit 2019 Referent der Apothekenkammer Berlin für begleitenden Unterricht. 2021 übernahm er die fachliche Leitung der Pharmazie im Impfzentrum Berlin.
Quellen:
1 PZ (2021) In diesen Regionen bieten Apotheken Grippeimpfungen an
3 OECD (2021) Influenza vaccination rates
4 ABDA (2021) Statistik: Apothekenlandschaft
5 DAZ (2021) Kleiner Piks, großes Potenzial
6 AOK (2021) Grippeschutzimpfung in saarländischen Apotheken
7 O‘Reilly D., Blackhouse G., et al. (2018). Economic analysis of pharmacist-administered influenza vaccines in Ontario, Canada. In: Clinicoecon Outcomes Res 10: 655–663;
8 VaccinesToday (2018). Does pharmacy vaccination increase overall uptake?
9 PZ (2021) »Ärzte und Apotheker sollten die Impfquote gemeinsam erhöhen«
10 Preaud E., Durand L. et al. (2014). Annual public health and economic benefits of seasonal influenza vaccination: a European estimate. In: BMC Public Health 14 (813).
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